Der kleine Freistaat Christiania in Kopenhagen ist ein Rückzugsraum zur Erholung. Hier ist erlaubt, was anderswo nicht geht. Schon deshalb lohnt ein Besuch.
Als ich durch Kopenhagen’s Stadtteil Christianshavn laufe, ereilt mich gleich eine gewisse Grundentspannung. Menschen sitzen gediegen an den Flussufern der Kanäle und lassen ihre Beine baumeln. Andere kämpfen sich schnaubend auf den Turm der Vor-Frelse-Kirche, nur um dort die wahrscheinlich beste Aussicht auf Kopenhagen zu genießen. Und auch im Viertel Christiania, dem kleinen autonomen Freistaat in Kopenhagen, schaltet man automatisch einen Gang runter.
Dabei ist Christiania auch das Kind eines Kampfes. Es war der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben, der vor allem zu Diskussionen und zu immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit dem Staat und der Polizei in Dänemark geführt hat. Und das geht immer mal wieder so. Man muss grundsätzlich mit Razzien durch die Polizei rechnen. Wobei diese meist nur die Pusher Street betreffen. Früher noch war es durchaus üblich, dass Leute von der Polizei auch an der nahen U-Bahn-Station Christianshavn kontrolliert worden. Dennoch: Das wovon so viele Menschen weltweit träumen, haben die Bewohner von Christiania bereits umgesetzt. Und zwar auf eine seltsam bürgerliche und wenig abstruse Weise.
Gras rauchen und kaufen – in Christiania ganz offen
Bekannt ist Christiania besonders für die Möglichkeit dort mehr oder weniger offen Marihuana kaufen zu können. Auf der sogenannten Pusher Street gibt es in kleinen Zelten jede Menge Gras – in verschiedenen Sorten und schon als Joint gerollt oder in reiner Form. Gras kaufen ist hier fast so einfach wie der Gang in den Supermarkt. Man stellt sich an, geht dann in ein kleines Zelt. Dort hat man verschiedene Sorten zur Auswahl. Auf der ganzen Welt kämpfen Leute für die Re-Legalisierung von Marihuana – hier ist sie gelebte Wirklichkeit. Der Knaller: es gibt sogar Mengenrabatte und Sonderangebote!
Wer auf Marihuana steht, der kann sich mit einer Tüte oder einer Bong ganz einfach in einen Biergarten wie dem des Nemoland setzen oder auf eine Bank setzen und braucht nichts zu befürchten. Fast nichts. Je nach Laune zeigt sich gelegentlich der dänische Staat und die Polizei führt Razzien durch. Hierzu sollte man wissen, dass die Christianiter sich zwar für unabhängig erklärt haben, das aber dem dänischen Staat nicht passt. Das heißt, man ist für die dänischen Behörden technisch in Dänemark und dort ist Cannabis-Besitz weiter illegal.
Wohnen wie die Teletubbies
Viel interessanter als die Grasdealer sind aber die Häuser in Christiania. Das Gelände war bis in die Sechziger eine Armee-Kaserne. 1971 entschieden sich Leute das Gebiet zu besetzen. Mittlerweile wurden dort viele Häuser gebaut. Es gab viele Kontroversen mit der dänischen Regierung, zuletzt um die Umsetzung der Bauvorschriften. Ich habe dort sehr viele schöne Häuser gesehen, viele liegen direkt am Wasser. Einige Häuser in Christiania sind von Gras überwachsen (im Sinne von Rasen) und auch alte sanierte Kasernengebäude und sogar Ställe aus dem 18. Jahrhundert wurden von den Bewohner umfunktioniert und zu Wohnhäusern umgebaut.
Keine Regeln, kein Stress
Zu den Besonderheiten von Christiania gehört auch, dass die autonome Freistadt keine wirklichen Gesetze hat. Es gibt nur wenige Regeln, die aber von den Bewohnern auch in Eigenregie durchgesetzt werden. So ist es trotz des Verkaufs von Cannabis und Haschisch verboten, harte Drogen zu verkaufen. Auch das Tragen von Waffen und Schutzwesten ist nicht erlaubt. Hinzu kommt die auch deutlich ausgewiesene Regel, nicht um die Pusher Street herum fotografieren zu dürfen. Das hat vor allem die Bewandnis, dass die Dealer nicht identifizierbar sein sollen. Bei Veröffentlichung im Netz könnten dieser erkennbar sein. Dieses Verbot wird mitunter auch radikal durchgesetzt. Es gibt immer wieder Geschichten, dass dabei Kameras zu Bruch gegangen sind. Im Rest Christianias ist das Fotografieren unter den üblichen Anstandsregeln aber erlaubt.
Antikapitalistischer Kapitalismus
Man fragt sich natürlich, ob in so einem Freistaat Christiania auch soetwas wie eine Wirtschaft und ein Sozialsystem funktionieren. Aus meinen eigenen Beobachtungen kann ich sagen: Ja! Ich habe in Christiania einen belebten Kindergarten gesehen. Es gibt viele Cafés und ein sehr gutes vegetarisches Restaurant, das Morgenstedet. Aus Christiania stammen auch einige der populärsten Fahrräder in Europa. Christiania Bikes produziert bekannte Fahrräder mit Wagen-Komponenten und Anhänger für Fahrräder. Die sind auch in Berlin sehr populär.
Christiania hat zudem eine eigene Brauerei – das Nemoland. Im hinteren Teil Christiania wird die Freistadt sogar richtig ländlich. Dort gibt es auch einen Reiterhof. Alles scheint sehr gut zu funktionieren. Die Christianier setzen auf eine ökologische Lebensweise.
und neuerdings gibt es sogar einen funktionierenden Aktienhandel. Allerdings wird nur mit einer Aktie gehandelt: der Volksaktie. Damit kann man Anteile an der Freistadt kaufen. In Deutschland ist das eher bekannt als eine Genossenschaft. Aber es klingt trotzdem cooler so.
3 Dinge, die man nur in Christiania probieren oder tun kann!
Das Nemoland-Bier gibt es nur hier! Außerdem veranstaltet das Nemoland sonntags auch gratis Konzerte!
Die berühmten Fahrräder Christiania Bikes kommen aus Christiania und sind besonders auch unter Berliner Radfahrern beliebt.
Nur in Christiania kannst Du ein Liebesschloss an die einzige Brücke eines Staates hängen!
Hinweis: Ich war auf Einladung von DFDS Seaways im Rahmen des Blogtrips #pdrbSchiff unterwegs. Dazub gibt es noch viele weitere spannende Beiträge auf anderen Blogs zu entdecken. Ihr solltet euch auch erstmal durch die weiteren Beiträge hier klicken:-) Die Schiffreise und die Anfahrt nach Kopenhagen wurden übernommen. Untergekommen bin ich in Kopenhagen und Oslo bei wundervollen Couchsurfern und Freunden. Vielen Dank!
Hm, da haste irgendwie ein völlig anderes Christiania erlebt als ich. Scheint irgendwie tagesabhängig zu sein. Ich jedenfalls war ziemlich geschockt von den Lebendleichen, die da mit rotgeränderten Augen und aggressiver Laune rumliefen, nicht zu reden von den halbtoten Rumliegenden… Ich fands daher eher gruselig.
Viele Grüße,
Inka
Da waren nicht mehr unterwegs als in Berlin 🙂